Klimaliste

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Die Klimaforschung mahnt zur Eile – doch die Ampel lässt sich Zeit

Zur Neuberechnung des CO2-Budgets

Ist das 1,5-Grad-Ziel noch zu halten? Eine neue Analyse zeigt: Das weltweite CO2-Budget ist nur noch halb so groß wie zuletzt vom Weltklimarat errechnet. Wenn wir weiter so viel CO2 emittieren wie zurzeit, überschreiten wir die Schwelle bereits in sechs Jahren. Deutschlands fairer Anteil wird schon Jahre früher aufgebraucht sein. Die Bundesregierung muss die Fakten endlich ernst nehmen, ihre bisher schon ungenügenden Klimaziele dringend nachschärfen – und umsetzen.

Dramatisch waren die Appelle aus der Klimaforschung bisher schon. Doch seit einiger Zeit klingen ihre Hilferufe immer besorgniserregender.

Rekordtemperaturen, Dürren, Waldbrände, sintflutartige Starkregenfälle: Der Hitze-Sommer 2023 übertraf die schlimmsten Erwartungen der Wissenschaft1. Noch unheimlicher waren die September-Daten: „Unfassbar“ war noch eine milde Formulierung für das Entsetzen, das die Forschenden angesichts des anormalen Temperatursprungs erfasste2.

Jetzt zeigt eine neue Studie: Das CO2-Budget zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels3 ist nur noch halb so groß wie zuletzt angenommen4.

2020 war der Weltklimarat noch von einem Restbudget von 500 Gigatonnen CO2 ausgegangen5. Doch nun zeigt sich auf Basis aktualisierter Daten6: Uns bleiben nur noch 250 Gigatonnen. Beim aktuellen Emissionslevel wäre dieses Budget bereits nach sechs Jahren aufgebraucht – und bisher zeigen die Zahlen alles andere als eine Trendwende.

Die Zeitbombe tickt
Die neuen Daten bedeuten nicht, dass wir uns mit konsequentem Klimaschutz noch sechs Jahre Zeit lassen dürften. Das wäre ein fatales Missverständnis, wie bereits der Titel der Studie zeigt: “Assessing the size and uncertainty of remaining carbon budgets”, zu Deutsch: „Bewertung des Umfangs und der Unsicherheit der verbleibenden Kohlenstoffbudgets“.

Die Forschenden lassen keinen Zweifel: Selbst wenn wir ab heute alles geben, bleibt uns nur noch eine Chance, aber keine Gewissheit mehr, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Denn selbst wenn wir es schaffen würden, nur noch die verbleibenden 250 Gigatonnen CO2 zu emittieren, läge unser Risiko, 1,5 Grad zu überschreiten, immer noch bei 50 Prozent.

Wir in Deutschland haben ohnehin keine sechs Jahre mehr: Weil wir weit über unsere Verhältnisse leben, bleiben uns weniger als drei Jahre, zeigt die CO2-Uhr der tageszeitung. Bereits im August 2023 hatte die Tageszeitung7. Deutschlands Rest-Budget auf Basis aktueller Daten neu berechnet.

Doch warum ist die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze so wichtig?

Jenseits der 1,5 Grad droht der Klima-Kollaps
Den sicheren Klimabereich des Holozän, in dem sich die Menschheit während der letzten 10.000 Jahre entwickeln konnte, haben wir heute schon, bei 1,2 Grad, verlassen. Wie dramatisch die Folgen jetzt schon sind, hat der Sommer 2023 gezeigt. Mit jedem Zehntelgrad wird sich unsere Lage weiter verschlechtern. Selbst wenn wir es also schaffen, die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen, wird unsere Lage nicht etwa besser, sondern deutlich schwieriger sein als heute.

Doch jenseits der 1,5-Grad-Schwelle drohen uns Gefahren von weitaus größeren Dimensionen. Denn wir stehen kurz vor Kipppunkten, deren Überschreiten unser Klimasystem unumkehrbar in einen neuen Zustand versetzen würde. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf warnt vor ganzen „Kaskaden von Kipppunkten, die dann zum unaufhaltsamen Selbstläufer werden8“.

Die Bundesregierung plant auf Basis veralteter Daten
Angesichts der jüngsten Klima-Daten ist die Untätigkeit der Ampel noch skandalöser als bisher schon. Sie will sich mit der Klimaneutralität bis 2045 Zeit lassen9. Schon als sie diesen Beschluss fasste, war längst klar, dass Deutschland seinen fairen Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels so nicht leisten würde10. Auch die Grünen haben die ungenügende Zielmarke 2045 kritiklos übernommen, zur Verwunderung der Fachleute, die schon lange warnen, dass wir damit die 2-Grad-Grenze überschreiten dürften11.

Doch nicht einmal mit ihren eigenen, viel zu schwachen Klimazielen hält die Bundesregierung Schritt, wie jüngst der Expertenrat für Klimafragen gezeigt hat12. Um ihr ungenügendes Zwischenziel für 2030 einzuhalten, müsste sie 40 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen – tatsächlich sind es nur 15 Millionen13.

Ein schlüssiges Gesamtkonzept für eine rasche und vollständige Umstellung der Wirtschaft von fossilen auf erneuerbare Energien ist weiter nicht erkennbar14.

Das Ausbau-„Tempo“ der erneuerbaren Energien steht in keinem Verhältnis zu den Anforderungen einer Wirtschaft, die innerhalb weniger Jahre sämtliche Sektoren elektrifizieren muss: Wärmepumpen und E-Autos können das Klima nur schützen, wenn sie aus erneuerbaren Energien gespeist werden15. Beton und Stahl lassen sich nur mit grünem Wasserstoff klimaschonend produzieren. Dafür bräuchten wir riesige Mengen an erneuerbaren Energien, die weit und breit nicht in Sicht sind. So scheitert der Windkraft-Ausbau nach wie vor an langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie an zu wenig freigegebenen Flächen16.

Ohne Speicher für erneuerbare Energien kann die Energiewende nicht gelingen. Hier liegen die vorhandenen Mengen im Promillebereich des Notwendigen. Und das, obwohl diese Speicher längst gut realisierbar wären17.

Würde die Bundesregierung ihre Verantwortung ernst nehmen, wäre das Tempolimit längst Realität. Seine Verweigerung verursacht so viele Emissionen, wie die 86 ärmsten Länder der Welt zusammen für ihren gesamten Energiebedarf ausstoßen18.

Doch statt das Tempolimit einzuführen, nimmt die Ampel tatenlos hin, dass die Zahl der Autos steigt, dass sie immer größer und schwerer werden und dass der Anteil an E-Autos marginal bleibt. Wälder und Moore, die wir als CO2-Senken für den Arten- und Hochwasserschutz dringend benötigen, opfert sie für den beschleunigten Ausbau von 144 Autobahnprojekten. Der extrem klimaschädliche Flugverkehr wird nicht etwa eingedämmt, sondern aktiv gefördert: Flughäfen erhalten Unsummen an Steuergeldern19, Kerosin bleibt steuerfrei, Klimakiller-Jets werden steuerlich begünstigt20.

Mit ihren Subventionen für fossile Energien konterkariert die Ampel ihre bescheidenen Klimaschutz-Bemühungen, frei nach dem Motto “Ein Schritt vor – zwei Schritte zurück”: Entlastungspakete, Dienstwagen- und Diesel-Privileg und weitere klimaschädliche Subventionen addieren sich auf Beträge in dreistelliger Milliardenhöhe21. Besserung ist nicht in Sicht22.

Wir leben in ernsten Zeiten. Doch wir werden regiert von Politikerinnen und Politikern, denen es an Ernsthaftigkeit fehlt. Eine Politik, die unserer Lage angemessen wäre, ist bei den etablierten Parteien nirgends zu erkennen. Tiefenentspannt übt sich unser selbsternannter Klimakanzler darin, die immer beunruhigenderen Erkenntnisse der Klimaforschung stoisch gelassen an sich abperlen zu lassen. Sein grüner Klimaschutzminister sekundiert ihm dabei, statt ihm etwas entgegenzusetzen.

Willst du dieser selbstzerstörerischen Politik die rote Karte zeigen? Dann unterstütze den Wahlvorschlag Klimaliste Deutschland für die Europawahl 2024.

  1. https://www.zeit.de/wissen/2023-10/klimakrise-studien-planet-lebenswichtige-systeme/komplettansicht ↩︎
  2. https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2023-10/klimawandel-september-2023-temperatur-hoechstwert-copernicus ↩︎
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/1%2C5-Grad-Ziel ↩︎
  4. https://www.spektrum.de/news/klimapolitik-neuberechnung-laesst-co2-budget-weiter-schrumpfen/2195580 ↩︎
  5. https://www.stimme.de/ueberregional/deutschland-welt/politik/dh/studie-co2-budget-klima-klimakrise-erderwaermung-klimaforscher-art-4856677 ↩︎
  6. https://www.nature.com/articles/s41558-023-01848-5 ↩︎
  7. https://taz.de/Neue-CO2-Uhr-auf-tazde/!5810221/ ↩︎
  8. https://www.spektrum.de/news/klimakrise-stefan-rahmstorf-im-interview/2121369 ↩︎
  9. https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/klimaschutzprogramm-2023-2226992 ↩︎
  10. https://www.sonnenseite.com/de/politik/energy-watch-group-klimaneutralitaet-2045-zu-spaet/ ↩︎
  11. https://youtu.be/hNrUBRBCt-Y ab Minute 11:57 ↩︎
  12. https://www.expertenrat-klima.de/, https://www.spiegel.de/wissenschaft/kritik-an-habeck-forscher-beklagen-grosse-luecken-in-der-klimapolitik-a-afd6792e-ca4e-4cd9-a7fb-14bf006b3f8e,
    https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-01/bund-klage-bundesregierung-klimaziele ↩︎
  13. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/emissionsdaten-des-umweltbundesamtes-warum-das-einhalten-der-deutschen-klimaziele-kein-erfolg-ist-a-9aa68999-3131-4b66-be86-7a6a7293bf1f?sara_ecid=nl_upd_1jtzCCtmxpVo9GAZr2b4X8GquyeAc9&nlid=spiegel-klimabericht ↩︎
  14. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/expertenrat-klima-klimaschutzgesetz-100.html ↩︎
  15. https://www.pv-magazine.de/2023/07/26/staatliche-ausschreibungen-sind-eine-massive-bremse-fuer-den-ausbau-der-erneuerbaren/ ↩︎
  16. https://taz.de/Windbranche-verfehlt-Ausbauziele/!5948422/ ↩︎
  17. Volker und Cornelia Quaschning (2022): Energierevolution jetzt! Mobilität, Wohnen, grüner Strom und Wasserstoff: Was führt uns aus der Klimakrise – und was nicht?, darin: Der zusätzliche Speicherbedarf lag 2021 bei einer Größenordnung um den Faktor 1000 ↩︎
  18. Greta Thunberg (Hg.) (2022): The Climate Book, Seite 273 ↩︎
  19. https://taz.de/Studie-von-Greenpeace/!5945286/ ↩︎
  20. https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/klimaschutz-privatjet-kurzstrecke-folgen-e262432/ ↩︎
  21. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltschaedliche-subventionen-in-deutschland-0; Kemfert, Claudia (2023): Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und Frieden. Darin: „… die Rettungspakete der Bundesregierung aus dem Jahr 2022: 100 Mrd. Euro kosteten die ersten beiden Pakete im Sommer, dann gab es noch mal 200 Milliarden für das dritte Paket im Herbst. … dieses Geld fließt nicht als Investition in die Zukunft, sondern … wird buchstäblich verbrannt, indem es fossile Energien finanziert, die wir abfackeln … 300 Mrd. Euro an Entlastungspaketen in einem Jahr. Und wir sind erst am Anfang der Krise.“ ↩︎
  22. https://www.haufe.de/immobilien/wirtschaft-politik/energiepreise-und-steuern-als-preistreiber-beim-wohnen_84342_282718.html ↩︎