Redaktioneller Hinweis: Dieser Beitrag gibt, was einzelne Details zu Vorgeschichte und Folgen des von Putin begonnenen Angriffskriegs betrifft, nicht unbedingt die Meinung der Klimaliste Deutschland wieder. Beiträge in diesem Blog wie der vorliegende sind aus unserer Sicht unverzichtbar, um zeitnah Meinungsbildung zu ermöglichen. Konsens ist: Vorstand und Mitglieder der Klimaliste Deutschland verurteilen das Vorgehen Putins und der russischen Streitkräfte auf das Schärfste. Unser tiefes Mitgefühl gilt allen, die betroffen sind. #StandWithUkraine (Uwe)
Welche Handlungsoptionen verbleiben der Bundesregierung? Wie lässt sich der Krieg in der Ukraine möglichst schnell beenden? Und wie kann ein Weltkrieg verhindert werden?
Teil I: Wie reagiert Deutschland?
Unabhängig werden? Das kann dauern!
Um diese Fragen anzugehen, schauen wir uns zuerst die Lösungsansätze zur Situation in der Ukraine an. Da wären zunächst die Sanktionen. Aktuell ist Nord Stream 2 kein Thema mehr. Das ist allerdings wie ein Boykottaufruf mit der Drohung: „Wenn du dein Verhalten nicht änderst, kaufe ich in Zukunft kein bisschen mehr als vorher!“
Das wäre eigentlich schon lächerlich genug. Aber es kommt noch lächerlicher. Wir kaufen im Moment sogar mehr russisches Gas als vor dem Krieg.[13] Aktuell müssen wir also erst die Versäumnisse der Vergangenheit bewältigen, um unabhängig von Putin zu werden – und das kann dauern.
Geld und Waffen
Auf einer zweiten Handlungsebene liefern wir aktuell Waffen an die Ukraine. Dort müssen sich auch Männer, die sich nicht freiwillig zum Kriegsdienst melden, der russischen Aggression entgegenstellen. Zwar war die Ukraine bisher nicht demokratisch genug für die EU, aber das hat sich mit Putins Einmarsch scheinbar geändert. Ursula von der Leyen nimmt wohl an, dass feindliche Truppen im eigenen Land sonstige Defizite ausgleichen.
Damit diese Truppen noch lange in der Ukraine bleiben, geben wir Geld für Gas an Putin, der sich davon wieder neue Waffen kauft. Im Endeffekt macht Deutschland genau dasselbe wie im Iran-Irak Krieg, als es beide Seiten mit Waffen belieferte. Immer wenn sich Kriegsmüdigkeit breit machen wollte, wurde nachfinanziert, natürlich auch von den USA (Irak) und Russland (Irak).
So lässt sich Leiden schön in die Länge ziehen. Nach acht langen Jahren, 1,3 Millionen Toten und völkerrechtswidrigen Giftgasangriffen, ermöglicht durch deutsche Dual-Use-Komponenten, war ein klassisches Unentschieden erreicht. Wie soll man auch irgendetwas gewinnen, wenn die verlierende Seite sofort mit Sonderzahlungen wieder aufgepäppelt wird? Doch wer glaubt, da könne es dann keine Gewinner geben, denke bitte noch einmal an Rheinmetall.
Lasst uns den Gashahn zudrehen
Aber die Ukrainer wollen doch die Waffen! Sollen wir ihre Wünsche verweigern? Fragen wir uns an dieser Stelle: Wollen wirklich alle die Waffen? Auch die, die zum Kämpfen gezwungen werden? Oder will ein Kriegsdienstverweigerer nicht vor allem ein schnelles Ende des Krieges? Und sollten diejenigen, die flüchten wollen, dies nicht auch dürfen? Unsere primäre Aufgabe ist jetzt, jeden, der aus der Ukraine oder aus Russland flüchtet, mit offenen Armen zu empfangen, vielleicht sogar bei der Flucht zu helfen, wenn das möglich ist.
Also lasst uns den Gashahn komplett zudrehen. Der Westen vereint die wichtigsten Absatzmärkte der Welt. Wenn wir den Zugang für alle Produkte sperren, die in ihrer Lieferkette irgendetwas mit Russland zu tun haben, dann trifft das Russland sehr hart, viel mehr als jede bisherige Waffenlieferung an die Ukraine.
Auch unsere Wirtschaft wird es treffen – und uns alle. Das stimmt. Aber es wird nicht dazu kommen, dass wir im kommenden Winter kein Gas zum Heizen hätten. Unsere Reserven sind dafür ausreichend.[14] Der komplette Ausschluss der russischen Banken aus Swift wäre dann gar nicht mehr nötig. Und das wäre auch gut, weil er auch russische Putin-Gegner im Ausland trifft und Menschen bei der Flucht aus Russland behindert.
Ein Angebot an Putin
Wer im Zweifelsfall weniger leicht fliehen kann, ist auch weniger bereit, in Russland Widerstand zu leisten. Im Iran nutzt die Regierung den Ausschluss aus dem Swift-Abkommen auch, um alles, was im Land schief läuft, auf den bösen Westen zu schieben. Aber egal, ob man für oder gegen den Ausschluss von Swift ist, gilt: Es sollte nicht nur mit der Peitsche gearbeitet werden. Soll ein schnelles Einlenken von Putin zum Wohle der Ukrainer erreicht werden, muss der Autokrat ein Angebot erhalten, das er nur schwer ablehnen kann.
Dazu müssen wir uns in die Lage Russlands versetzen. Was könnte Putin zur Umkehr bewegen und uns nicht zugleich den Vorwurf einbringen, den Krieg zu rechtfertigen oder Putins Verhalten zu entschuldigen?
Auch die Nato hat in der Vergangenheit Fehler gemacht, die zur jetzigen Situation beigetragen haben. Das heißt nicht, dass der Krieg in irgendeiner Form gerechtfertigt wäre, aber wir können diskutieren, unter welchen Voraussetzungen er vermeidbar gewesen wäre.
Russland hat zum Beispiel im Jahr 2004 gemeinsam mit der Ukraine, Belarus und Kasachstan den A-KSE Vertrag ratifiziert. Doch die Nato weigerte sich, diesen zu unterzeichnen – angeblich aus Protest gegen den Tschetschenien-Krieg. Und das, obwohl der vorangegangene, 1990 unterzeichnete, KSE-Vertrag zwischen dem Warschauer Pakt und der Nato die Aufrüstung konventioneller Waffen sehr effektiv gestoppt und sogar zu massiver Abrüstung geführt hatte.
Dieser Vertrag war der Grund, warum wir von einer Friedensdividende gesprochen haben. Obwohl Russland sich auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als verlässlicher Vertragspartner erwiesen hatte. Obwohl die Stationierung von Soldaten in Transnistrien, die von der Nato zum Anlass genommen wurde, den Nachfolgevertrag nicht zu unterzeichen, überhaupt nichts mit dem Inhalt des A-KSE-Vertrags zu tun hatte.
Der A-KSE Vertrag betraf die juristische Ebene, die Truppenstationierung sorgte auf der politischen Ebene für Konflikte. Selbst Kommentatoren bei der Deutschen Welle sehen im Verhalten der Nato einen Fehler.[15] Ich glaube, dass die Nato davon ausging, mit dem geschwächten Russland nicht mehr auf Augenhöhe verhandeln zu müssen. Dabei wurde das atomare Potenzial schlicht ignoriert. Wie musste das auf Putin wirken, der 2015 die Geduld verlor und faktisch ebenfalls wieder austrat.[16]
Bedrohtes Russland
Russland kann sich zurecht bedroht fühlen. Zuerst stieg Trump aus dem INF-Vertrag aus, der die Abrüstung aller atomaren Kurz- und Mittelstreckenwaffen vorsieht und gegenseitige Kontrollen einräumt. Diese Waffen sind prädestiniert für einen atomaren Erstschlag. Was soll Russland denken, wenn die USA aus diesem Vertrag aussteigen und es gleichzeitig befürchten muss, die Ukraine könnte demnächst ein Nato-Territorium sein, auf dem solche Kurzstreckenraketen stationiert werden könnten?[17]
Trump kündigte außerdem das Open-Skies-Abkommen mit Russland auf. In diesem wurden gegenseitige Aufklärungsflüge eingeräumt, um Truppenbewegungen und Waffenstationierungen zu überwachen. Russland hätte nicht länger feststellen können, ob Kurzstreckenraketen in seiner direkten Nachbarschaft stationiert werden. Braucht es wirklich noch mehr Gründe, um dem Westen zu misstrauen?[18]
Vergessen wir nicht: Wir reden hier immer noch von den USA, die schon mal Massenvernichtungswaffen erfindet, um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu rechtfertigen – und das im Umgang mit einem ehemals stark unterstützten Verbündeten. Wenn man so mit ehemaligen Freunden umgeht, was haben da jahrzehntelange Feinde erst zu befürchten?
Ich gehe davon aus, dass Putin abwarten wollte, ob der neue US-Präsident den Kurs seines Vorgängers korrigiert. Als das nicht erfolgte, tat er, was er für ein Ziehen der Reißleine hielt. Mit allen furchtbaren Konsequenzen, die jetzt die ukrainische Bevölkerung treffen.
Spielbälle der Logik des Kalten Kriegs
Der Westen und der Osten zerstören Demokratien und Diktaturen gleichermaßen, um ihre geostrategischen Ziele zu verfolgen. Für die USA und Russland sind andere Länder nur Spielbälle der Logik des Kalten Kriegs. Putin ist beim KGB ausgebildet worden. Die Denkmuster des Konflikts haben ihn geprägt. Und selbst, wenn es ihm nicht um die Sicherheitsinteressen Russlands ginge, dann geht es zumindest seinen Unterstützern darum. Wir dürfen nicht vergessen: Für einen Autokraten hat Putin viele Unterstützer im eigenen Land. Das ist eine Quelle seiner Macht und eine Abkehr der Unterstützer könnte ihn dieselbe kosten.
Der INF-Vertrag, Open Skies und der A-KSE-Vertrag sollten im Tausch gegen einen Rückzug aus der Ukraine und einen Wiedereinstiegs Russlands rückgängig gemacht werden. Des Weiteren sollte man Putin anbieten, dass man der Ukraine nur im Verbund mit Russland einen Beitritt zur Nato anbietet. Bis dahin sollte die Ukraine als neutrales, entmilitarisiertes Land betrachtet werden.
Ein Autokrat in der Nato?
Die Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen der Partnerschaft für Frieden[20] muss ausgeweitet werden. Außerdem sollte der Vertrag von Minsk 2 wieder umgesetzt werden. Wobei es im Fall der abtrünnigen Gebiete Donezk und Lugansk ein von UNO-Beobachtern überwachtes Referendum geben muss. Die Bewohner:innen müssen selbst entscheiden können, ob sie weiterhin zur Ukraine gehören oder sich Russland anschließen möchten. Diese Entscheidung müsste dann von allen Seiten anerkannt werden. Vorbedingung für jegliche Verhandlungen wäre eine sofortige Waffenruhe in der Ukraine.
„Ein Autokrat in der Nato!“, mag man jetzt erschaudern, „das ist ja unerhört!“, aber dem möchte ich entgegnen, man sollte sich noch einmal genauer mit Erdogan befassen. Die Behauptung, dass Putin sich von Demokratien bedroht fühlt, halte ich für ein Ablenkungsmanöver, um westliche Fehler und Beiträge, die zur Eskalation geführt haben, zu vertuschen. Denn Putin sieht ja: Selbst in Kriegszeiten sind Demokratien wie Deutschland sehr verlässliche und kaufkräftige Vertragspartner und zuverlässige Kunden. Nichts wovor man sich fürchten müsste.
Überzeugte Autokraten wie Putin sehen Demokratien ohnehin als schwach an, deswegen lehnen sie diese ja ab. Putins Rückhalt in der Bevölkerung hat die steigende Zahl von Demokratien auf der Welt bislang keinen Abbruch getan. Seine Befürworter halten Russland vielleicht sogar für eine Demokratie, schließlich gibt es Wahlen. Außerdem lassen sich ausländische Demokratien mit Propaganda und Fake News doch viel leichter manipulieren als wahnhafte Autokraten mit einem fixen ideologisch geprägten Weltbild. Ich bin mir sicher, dass es tatsächlich Wege gibt, Russland einzubinden – zum Wohl der Menschen und um den von Putin gebrochenen Frieden wieder herzustellen.
Teil I: Wie reagiert Deutschland?
Quellenhinweise
[1]https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung#Vermeintlich_getätigte_sowie_tatsächlich_getätigte_Zusagen_an_die_Sowjetunion
[3]https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1086471/umfrage/militaerische-staerke-der-usa/
[5]https://de.wikipedia.org/wiki/Verteidigungsetat
[6]https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1001947/umfrage/militaerausgaben-der-nato-staaten/
[9]https://de.wikipedia.org/wiki/B61_(Kernwaffe)#B61-12
[10]https://www.bundeswehr.de/de/ausruestung-technik-bundeswehr/luftsysteme-bundeswehr/drohne-heron-1
[11]https://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehr-drohnen-ampel-1.5461984
[12]https://www.sueddeutsche.de/politik/gruene-bewaffnete-drohnen-parteitag-beschluss-1.5320724
[15]https://www.dw.com/de/rüstungskontrolle-zwischen-nato-und-russland-in-der-krise/a-3003427
[16]https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_über_Konventionelle_Streitkräfte_in_Europa
[17]https://www.armscontrol.org/act/2019-09/news/us-completes-inf-treaty-withdrawal
[19]https://de.wikipedia.org/wiki/Open-Skies-Abkommen
[20]https://de.wikipedia.org/wiki/Partnerschaft_für_den_Frieden