Vor der Bundestagswahl finanziert Campact im Internet Kampagnen, die Menschen vom Wählen demokratischer Parteien, wie der Tierschutzpartei abhalten sollen.1 Der Antritt unseres Mitglieds Mitja Stachowiak für die Tierschutzpartei hat bei dieser Wahl neben den inhaltlichen Zielen also noch eine besondere, demokratische Motivation.
Rechtspopulisten sägen mit gezielter Desinformation an der Demokratiefähigkeit unseres Landes. Ein früher Erfolg der Rechten ist, dass sie mit Campact nun Rückenwind bekommen, um die demokratische Vielfalt in Deutschland auszudünnen. Eben jene großen Volksparteien, die Campact unterstützt, sind selbst dafür verantwortlich, dass progressive Kleinparteien im Parlament fehlen.
Neues Wahlgesetz: Ampelparteien verzichten auf die Prozente der Kleinen
Mit dem neuen Bundeswahlgesetz von 2023 die Sitze im Bundestag zu limitieren, war gut und richtig. Diesen Anlass haben die Ampelparteien dann ausgenutzt, um das Wahlgesetz zu Gunsten der etablierten Parteien zu verdrehen.
Das Bundesverfassungsgericht schlägt vor, dass die Prozenthürde für Fraktionen gelten könnte, statt für Parteien.2 Die Ampel hatte also die Chance, demokratische Verbesserungen vorzunehmen. Aber sie tat es nicht. Die großen Volksparteien verzichten also lieber auf die Prozente der kleinen Parteien im Kampf gegen Rechts, solange neben der AfD auch sie selbst mehr Sitze bekommen.
Durch Abschaffung der Grundmandatsklausel wären CSU und Linke, deren Listen manchmal bzw. bei der CSU im Hinblick auf die Altersverteilung zukünftig nur dank gewonnener Direktmandate freigegeben werden, aus dem Bundestag ausgeschlossen worden. Diese Änderung hatte das Gericht gekippt.
Nun kann hinterfragt werden, inwiefern es demokratisch ist, wenn Parteien, deren Wähler sich auf einzelne Hochburgen konzentrieren, einen Vorteil bekommen. Richtig ist aber, dass eine Prozenthürde grundsätzlich undemokratisch ist und jede Möglichkeit, diese zu umgehen, der Demokratie nützt.
Für uns ist vor allem eines klar: Strategisch zu wählen, im Wissen, nicht für die eigenen Werte zu stimmen sondern nur für das kleinere Übel, um Schlimmeres zu verhindern, nährt die Unzufriedenheit mit der Politik. Und Unzufriedenheit ist der Nährboden für Populisten.
Außerdem sollten die Begriffe Erst- und Zweitstimme umbenannt werden. Die Erststimme verändert im Grunde lediglich und eher zufällig die Reihenfolge der Bewerber auf der Landesliste der Partei. Die Verteilung der Sitze unter den Parteien wird ausschließlich über die Zweitstimme bestimmt. Die Begriffe Erststimme und Zweitstimme implizieren jedoch eine andere Priorität. So darf man davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil der Wählerinnen und Wähler sich sprichwörtlich verwählt. Eine passende Namensgebung wie Wahlkreisstimme und Parteistimme war unseren Informationen nach im Gespräch, wurde aber aus unersichtlichen Gründen nicht ins Gesetz übernommen.
Es ist ein Vorzeichen für den Zusammenbruch von Demokratien, wenn regierende Parteien das Wahlgesetz gezielt zu ihren Gunsten abändern. Zuerst verschwinden die kleinen Parteien, dann polarisiert sich die Gesellschaft in zwei Lager. Zuletzt gibt das rechte Lager den Ton vor und die Gegenseite nähert sich immer weiter an, um noch so viele Stimmen wie möglich mitzunehmen. Und nach und nach verlieren wir so unser Land an die Populisten.
Wahlantritt nur noch mit Landesliste möglich
In mehreren angestrebten und teils erfolgreichen Wahlrechtsreformen haben die regierenden Parteien in den letzten Jahren Einschnitte in wichtige, demokratische Grundsätze, wie die Gleichheit der Stimme oder die Möglichkeit an Wahlen teilzunehmen, vorgenommen.
Zur nun kommenden, vorgezogenen Neuwahl des Bundestages wäre es für uns als Klimaliste faktisch unmöglich gewesen, anzutreten. Und das liegt nicht nur an den verkürzten Fristen. Im 2023 geänderten Bundeswahlgesetz heißt es bei § 20 Inhalt und Form der Kreiswahlvorschläge nun „Kreiswahlvorschläge können nur dann zugelassen werden, wenn für die Partei in dem betreffenden Land eine Landesliste zugelassen wird.“ 3
Als Klimaliste sind wir etwa zur Bundestagswahl 2021 oder auch zur Landtagswahl in Hessen 2023 bewusst nicht mit eigenen Landeslisten angetreten, auch um im Hinblick auf die 5%-Hürde. Um dennoch an der politischen Willensbildung teilzunehmen, sind Mitglieder von uns als Direktkandidaten in einzelnen Wahlkreisen angetreten. Genau das geht nun nicht mehr. Man kann jedoch weiterhin als Einzelbewerber ohne die Landesliste einer Partei antreten und man kann für eine Partei in einem Wahlkreis kandidieren, ohne auf der Landesliste der selben zu stehen. Und das machen wir auch: Unser Mitglied Mitja Stachowiak wurde von der Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei) für den Wahlkreis 185 Darmstadt aufgestellt.
Wehrhafte Demokratie: Wir kämpfen für Vielfalt
Um für die Tierschutzpartei zu kandidieren, musste Mitja an Eides statt versichern, nicht Mitglied einer anderen Partei als der Tierschutzpartei zu sein. So trat er aus der Klimaliste aus, unterschrieb die Zustimmungserklärung und beantragte nach Tagung des Wahlausschusses die Mitgliedschaft in beiden Parteien. Inzwischen wurde er bereits wieder als Beisitzer in den Bundesvorstand der Klimaliste gewählt. Auch die Tierschutzpartei bestätigte seine Mitgliedschaft. Sollte Mitja den Wahlkreis gewinnen, wird er als Mitglied beider Parteien im Bundestag sitzen.
Während ich bei der letzten Wahl noch bereitwillig meine Zweitstimmen den Grünen überlassen habe, so bin ich von dieser Partei nun hinreichend enttäuscht, um offen zu sagen: Beide Stimmen Tierschutzpartei! Damit möchte ich auch Solidarität gegenüber vielen anderen kleinen Parteien wie den Piraten oder der Partei des Fortschritts zeigen, die gar nicht oder nur in wenigen Bundesländern wählbar sein werden.
So erklärt Mitja seine Entscheidung, zur Bundestagswahl anzutreten.
Campact: Nichtregierungs-Organisationen betreiben Demokratieabbau
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Wer sich dieser Tage z.B. über das Programm der Tierschutzpartei informieren möchte, wird auf Google durch eine von Campact finanzierte Kampagne davor gewarnt, die Stimme an eine Partei zu geben, die wahrscheinlich nicht die 5% schaffen wird. Wer die Tierschutzpartei wähle, würde einen Teil seiner Stimme der AfD geben – so Campact.
Für kleine Parteien ist die Verbreitung dieser undemokratischen Ansichten existenzgefährdend. Die AfD aufhalten zu wollen, indem man progressive Kräfte unterdrückt, ist eher das verramschen von Tafelsilber um den drohenden Bankrott temporär aufzuschieben
so kommentiert Mitja Stachowiak die Kampagne von Campact.
Eine Kritik an der Hürde selbst, sucht man bei Campact vergeblich. Welche Message sendet Campact an ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker, die sich nicht unter den Machtapparaten der großen Parteien engagieren möchten? Wenn du für Klimaschutz oder sozialen Wandel bist, dann geh nach Hause, gib auf und überlasse die Politik sich selbst.?
Auch wer wegen der Prozenthürde keine Kleinpartei wählen möchte, kann immer noch die rein symbolische Erststimme gefahrlos einer kleinen Partei geben. Wenigstens dort, wo sie einen Kreiswahlvorschlag aufgestellt hat. Das nützt zumindest, um den Etablierten zu zeigen, was man eigentlich möchte. Auf diese Möglichkeit weist Campact jedoch nicht hin.
Campact hat – zu recht – 2018 seine Gemeinnützigkeit verloren.4 Auch Fridays for Future, die sich als überparteilich bezeichnen, lassen sich von Campact regelmäßig Plakate drucken.5 Campact ist in der Bewegung fest verankert. Daher sind die Kampagnen von Campact für kleine Parteien existenzgefährdend.
Sperrklauseln bei der EU Wahl
Nicht nur das Bundeswahlgesetz wird undemokratischer. Auf europäischer Ebene soll bei der nächsten EU-Wahl eine Prozenthürde eingeführt werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Vergangenheit eine solche Prozenthürde für Verfassungswidrig erklärt. Indem die neue Regelung als EU-Richtlinie verabschiedet wurde, musste nun das deutsche Gericht nachgeben und gibt grünes Licht für die Einführung einer Hürde.6
Das Muster ist das gleiche wie beim Bundestag: Eine sinnvolle Initiative – im Falle der EU die Einführung von transnationalen Listen – wird ausgenutzt, um im Hintergrund mit wenig medialer Aufmerksamkeit Änderungen durchzusetzen, die genau den Parteien nützen, die gerade an der Macht sind.
Das Argument, dass man eine Prozenthürde bräuchte, um die Regierungsbildung zu stabilisieren, wird im EU-Parlament ad absurdum geführt, da darin bereits über 200 Parteien aus den verschiedenen Ländern zusammen arbeiten. Empirische Studien, die belegen, dass Länder mit Prozenthürde stabilere Regierungen bilden, gibt es ohnehin nicht. Genauso gut kann man die Gegenthese aufstellen, dass die Ampelregierung zerfallen ist, weil darin zu wenige Parteien vertreten waren, von denen jede einzelne die Macht hatte, die Koalition platzen zu lassen. Dass die Bundesrepublik stabiler ist, als die Weimarer Republik, liegt an einer Vielzahl von Maßnahmen, wie der Einführung des konstruktiven Misstrauensvotums und eher weniger an der Prozenthürde.
Warum wir Parteien brauchen
Dadurch, dass nach dem neuen Wahlgesetz Parteien ohne Landesliste keine Wahlvorschläge mehr zur Bundestagswahl aufstellen können, werden Parteien strukturell geschwächt. Parteien müssen, um ihren Parteistatus zu sichern, regelmäßig an Wahlen teilnehmen. Da dies auf Bundesebene jetzt nur noch mit Landeslisten möglich ist, für welche man bis zu 2000 Unterschriften sammeln muss, wird die Arbeit kleiner Parteien, die sich ihren Einfluss nicht mit Industriespenden kaufen können, nun noch schwieriger.
Wir haben gesehen, wie das demokratische System in Afghanistan, wo 92% aller Kandidierenden nicht über eine Partei sondern als Einzelbewerber antraten7, mit Vormarsch der Taliban quasi über Nacht kollabiert ist. Als Klimaliste sind wir zuerst als dezentrale Wählergruppen gestartet und haben dann schnell gemerkt: Ohne Strukturen geht nichts.
So äußert sich Mitja zur Frage nach Parteien.
Trotz aller berechtigter Kritik an den Etablierten – Es braucht Parteien, die langfristig für bestimmte Ziele eintreten und diese über einschlägige Namen auch auf dem Stimzettel wählbar machen. Keine größere Demokratie kommt ohne Parteien aus.
In Deutschland hat das Vertrauen der Menschen in Parteien einen historischen Tiefstand erreicht. Als Klimaliste dürfen wir an vielen Demonstrationen nicht teilnehmen – einfach nur deshalb, weil wir den Weg gehen, als Partei im Parlament Anträge für Klimaschutz auf die Tagesordnung zu bringen.
Vorgezogene Neuwahl macht Aufstellung für kleine Parteien unmöglich
Zur kommenden Bundestagswahl wird Volt die einzige noch nicht in einem Parlament vertretene Partei sein, die in allen Bundesländern wählbar ist. Mit der Tierschutzpartei haben wir es immerhin in den meisten Ländern geschafft. Dies liegt aber auch daran, dass man bereits seit Herbst zur regulären Bundestagswahl im September 2025 aufstellen konnte. Viele Landesverbände hatten bereits Listen gewählt, als die Koalition zerfallen ist. Wenn die Regierung mitten in der Legislatur zerbricht, wird es nahezu unmöglich.
Dass die Tierschutzpartei in 5 Bundesländern nicht wählbar sein wird, nimmt Campact als Argument, die Partei nicht zu wählen. Dies verdeutlicht die klare Absicht dieser Organisation, die Parteienlandschaft auszudünnen und Diversität im Parlement zu unterdrücken.
Die ÖDP klagt gegen die Einreichungsfristen, die Berg-Partei wendet sich an die OSZE wegen Einschränkung der demokratischen Teilhabe.
Wir sind gerade auf dem besten Weg, die demokratische Vielfalt zu verlieren. Wenn wir nur noch wählen gehen, um die AfD zu verhindern, dann haben die Rechten schon, was sie brauchen. Längst machen große, bürgerliche Parteien AfD-Politik. Dies jedenfalls gelingt der AfD: Indem sie den anderen Stimmen wegnimmt, schafft sie es, dass ihre Politik umgesetzt wird, auch ohne selbst zu regieren.
Für Progressive soll nun die Strategie sein, ihre eigenen Kräfte im Stich zu lassen und teils genau die Parteien zu wählen, die um AfD-Stimmen buhlen?
- Campact: Tierschutzpartei: Hat die Partei Mensch Umwelt Tierschutz eine Chance bei der Bundestagswahl?, https://www.campact.de/bundestagswahl-2025/tierschutzpartei/. ↩︎
- https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2024/07/fs20240730_2bvf000123.html ↩︎
- https://www.gesetze-im-internet.de/bwahlg/__20.html ↩︎
- https://taz.de/Campact-verliert-die-Gemeinnuetzigkeit/!5578542/ ↩︎
- https://blog.campact.de/2021/08/kleben-fuers-klima-materialpaket/ ↩︎
- https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2024/02/es20240206_2bve000623.html ↩︎
- https://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahl_in_Afghanistan_2018#Kandidaten_und_Parteien ↩︎